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Meinung: Neue Mobilität - Revolution oder schon am Ende?
Stefan Schulz UX Director • Head of Site Munich
09.01.2023 • minutes reading time
Das Versprechen der „New Mobility“
Ich erinnere mich noch genau, als ich diesen neuen DriveNow-Service Anfang des letzten Jahrzehnts ausprobierte: Es fühlte sich an wie Science-Fiction, die plötzlich Realität wurde. Das Smartphone öffnete die Tür zu einer neuen dynamischen Welt der Mobilität – die davor nur den langen unerbittlichen Kampf zwischen Autos und öffentlichen Verkehrsmitteln gesehen hatte.
Alles begann einige Jahre zuvor, mit dem Konzept der Sharing Economy: Dinge teilen und dadurch neuen Nutzen zu schaffen - für die Nutzer:innen, die Dienstleister und die Gesellschaft. Ein früher Treiber dieses Trends im Mobilitätssektor waren eben diese neuen Formen des Carsharing, die es ermöglichten, Fahrzeuge ganz einfach per Smartphone zu mieten.
Mit diesen ersten Optionen wuchs in vielen Menschen genau wie in mir die Vorstellung, dass Mobilität nur smarter gemacht werden müsse und viele grundlegende, langjährige Probleme des Fahrzeugverkehrs und der Mobilität gelöst werden könnten. Es schien klar, dass sich unser Erlebnis mit Mobilität komplett ändern würde. Gleichzeitig wuchs zusätzlich der gesellschaftliche Druck: Der gewohnte Umgang mit Autos und Verkehrschaos wurde wegen immer strengerer Klimaschutzauflagen und nach Vertrauensverlusten wie „Dieselgate“ einfach nicht mehr hinnehmbar.
Das war die grosse grundlegende Wende, die ganze Branchen verändern und revolutionieren sollte, und ich war live dabei. Mein Optimismus war grenzenlos, und die Prognosen für die Zukunft schienen klar. Doch gegen Ende des Jahrzehnts änderten sich die Vorzeichen.
Sand im Getriebe
So wurde es offensichtlich, dass sich etwas Sand im Getriebe befand und die ersehnte, zukünftige Welt möglicherweise nicht (so bald) eintreten würde. Autonom fahrende Fahrzeuge fehlten offensichtlich, obwohl sie vielfach sowohl bei traditionellen Herstellern als auch bei den neuen Angreifern wie Tesla und anderen angekündigt wurden. Das Teilen von Fahrzeugen nahm zwar zu, blieb aber eine noch überschaubare Nische in der Mobilität. Und bei der Vernetzung der Angebote gab es zwar viele „Mobility Apps“ im Angebot, aber wirklich integrierte Lösungen für eine elegante Reise von A nach B aus einer Hand blieben weiter Zukunftsmusik. Waren wir doch zu blauäugig gewesen und hatten eine (technologiefixierte) Revolution bejubelt, die vielleicht niemals stattfinden würde?
Realitätscheck
Nicht ganz, denn trotz Enttäuschungen gab es ja viele nachhaltige Veränderungen: Die Automatisierung entwickelte sich in Nischen prächtig (z. B. autonome Lieferroboter) und die evolutionäre Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen zu zunehmend autonomen Fahrzeugen in abgegrenzten Gebieten setzte sich fort.
Und gleichzeitig ist unsere Mobilität viel stärker vernetzt als noch vor 10-15 Jahren. So sind Informationen über Mobilitätsmöglichkeiten und -angebote heute mehr und schneller verfügbar als noch vor zehn Jahren. Der Austausch und die Zusammenführung von Informationen über Plattformen sind heute eher die Regel als die Ausnahme. Im Ticketing arbeiten immer mehr Produkte zusammen und auch Echtzeitinformationen werden bei Mobilitätsangeboten immer mehr zur Selbstverständlichkeit. Zusammen mit der ungeheuren Sog-Wirkung der nachhaltigen Elektrifizierung konnten an vielen Schnittstellen beeindruckende Innovationen entstehen.
Das motivierte uns, das motivierte mich. Aber ist das die grosse Veränderung, die wir uns im letzten Jahrzehnt gemeinsam vorgestellt haben, die eine bessere Welt (für uns und unsere Kinder) bringen sollte? Ist die grosse Vision noch erreichbar und wie gelangen wir dorthin?
Der neue Weg von A nach B
Was muss also wirklich getan werden, um eine nachhaltige, bessere Mobilität aufzubauen? Meiner Meinung nach reicht es nicht aus, sich auf Technologien und Innovationen zu konzentrieren oder über die Marktreife von möglicherweise zu früh eingeführten Diensten nachzudenken. Denn im Kern geht es in erster Linie um den Menschen und seine wichtigsten Grundbedürfnisse. In der Mobilität schlage ich vor, 3 dieser Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu rücken:
Sicherheit in der Mobilität hat viele Facetten, darunter die eigene Sicherheit, die Sicherheit der Mitfahrer:innen und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer:innen. Dazu gehört auch der Schutz vor Unwohlsein oder gar einem Angriff im öffentlichen Raum, ein zentrales Argument für die Nutzung von Fahrzeugen durch Randgruppen.
Komfort beschreibt, wie die Zeit des Reisens so angenehm wie möglich gestaltet wird, denn es ist oft mit erheblichem Aufwand verbunden und jeder Stressabbau verbessert das Reiseerlebnis erheblich. Dabei geht es weniger um Dinge wie beheizte Sitze oder exklusive Extras wie Premiumfahrzeuge oder (Flughafen-) Lounges. Vielmehr geht es darum, wie leicht sich das Gepäck transportieren lässt, ob man die Reisezeit für Arbeit, Freizeit oder Schlaf nutzen kann oder wie komplex die Organisation einer Reise ist.
Status ist oft eng verbunden mit Komfortbedürfnissen und entspricht dem Wunsch der Menschen, den erreichten Status im Leben auszudrücken. Doch dieses Bedürfnis auf exklusive Angebote in Zügen, Flugreisen und teureren Autos zu beschränken, trifft den Nagel nicht auf den Kopf. Vielmehr ist das Statussymbol Auto als Marker für Erfolg im Leben weltweit tief verankert. Es geht etwa beim Wunsch, „ein Auto zu besitzen“, oft darum, zu beweisen, dass man einen bedeutenden Meilenstein im Leben erreicht hat.
Um neue Mobilität auf breiter Basis zu ermöglichen, halte ich es für unerlässlich, sich auf diese drei Grundbedürfnisse zu fokussieren und sie für die anwendungsbezogene Nutzung mit den richtigen Personenkreisen zu konkretisieren. Auch aus eigener Erfahrung sehe ich dabei Familien und Senioren als besonders kritisch für den Erfolg einer Mobilitätsrevolution an, weil sie derzeit oft unfreiwillig in eine automobile Realität gezwungen werden, ohne sich darin wirklich wohl zu fühlen. Und sie haben oft die notwendige Finanzkraft, für neue Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen.
Darüber hinaus ist eine Diskussion darüber unausweichlich, wie wir ein attraktives, sicheres Umfeld mit mehr Komfort schaffen können, insbesondere bei der gemeinsamen Mobilität. In diesem Zusammenhang sollten wir verstärkt die Diskussion über Mobilität als dritten Ort suchen; visionäre Projekte wie der Zug der Ideen der Deutschen Bahn (wie im Bild zu sehen) weisen in die richtige Richtung.
Der öffentliche Verkehr hat eine lange Geschichte, die das Reisen in gemeinsam genutzten Fahrzeugen zugänglich und immer angenehmer macht. Diese Erkenntnisse müssen nun aber auf alle Verkehrsträger und unsere Städte und Gemeinden übertragen werden. Aus meiner Sicht erklärt sich der mangelnde Erfolg von Sharing-Konzepten durch den Fokus auf Reiseoptimierung und finanzielle Anreize statt auf Sicherheit, Komfort und Status. Der gesamte Mobilitätswandel wird jedoch ohne effektive und florierende Sharing-Konzepte nicht erfolgreich sein.
Was wir benötigen, sind folgerichtige Fortschritte in der Verbesserung unseres Lebens: Wie sollen unsere Städte und Siedlungen aussehen, wie wollen wir reisen und wie wollen wir besser leben?
Ursprünglich wurde dieser Artikel in 4 Teilen auf LinkedIn von Stefan Schulz veröffentlicht. Im Rahmen dieses Artikels haben wir die 4 Teile zusammengefasst, falls Du die Posts gerne im Ganzen lesen möchtest, dann findest Du im Folgenden die Links: