Lead Communication Manager Esther Barra sprach kürzlich mit Dr.-Ing. Lukas Flohr (Senior UX Designer & Specialist Mobility) über Forschungsprojekte bei Ergosign und das Erlangen des Doktorhutes in einem Industrieunternehmen. Was das alles auch mit autonomen Fahrzeugen, kontextbasiertem Prototyping und Lukas’ Werdegang zu tun hat, erfährst du hier.
Esther: Lukas, wie bist du eigentlich zu Ergosign gekommen?
Lukas: Während meines Studiums der Digitalen Medien bin ich Ergosign bei Gastvorträgen und Workshops begegnet. Den Themenbereich UX fand ich super interessant und der gelebte mensch-zentrierte Ansatz von Ergosign klang einfach richtig. Am Ende meines Bachelorstudiums habe ich mich dann zunächst für ein Praktikum mit anschliessender Thesis im Hamburger Office beworben. Das war nach der eher beschaulichen Schwarzwald-Stadt Furtwangen eine willkommene Abwechslung. Nach meiner Bachelorarbeit zur Anwendung von Augmented Reality im Kontext von Industrie 4.0 zog es mich jedoch wieder zurück an die Uni – genauer gesagt: an die TU München (TUM), wo ich mich für ein Masterstudium in Human Factors Engineering einschrieb. Das Tolle: ich konnte bei Ergosign bleiben und nahtlos als Werkstudent im Münchner Office weiterarbeiten. Ich konnte dabei die Projektteams bei UX Design- und Research-Aktivitäten unterstützen.
Esther: Wann hast du dein Interesse für den Mobility-Bereich entdeckt?
Lukas: Das Zünglein an der Waage war, denke ich, mein Masterstudium. An der TUM gab es – zu meinem Glück – viele spannende Vorlesungen, Seminare und Projekte rund um die Themen (Fahrzeug-)Automatisierung, Mobilität und Ergonomie — was, wie sich herausstellte, genau mein Ding ist.
Esther: Was interessiert dich daran? Was ist so spannend an Autos?
Lukas: Tatsächlich finde ich Autos, beziehungsweise den motorisierten Individualverkehr insgesamt, gar nicht so cool. Er ist zwar komfortabel, aber oft ineffizient und alles andere als umweltschonend. Mobilität ist ein tolles Thema. Sie ermöglicht uns, unseren Bewegungsradius zu erhöhen und damit am gesellschaftlichen, sozialen Leben teilzuhaben. Vor allem „Shared Mobility“-Konzepte, die das Teilen von Transportmitteln ermöglichen, in Kombination mit autonomen Fahrzeugen interessiert mich sehr. Diese innovativen Technologien haben ein enormes ökonomisches, ökologisches und nicht zuletzt auch soziales Potenzial. So können wir es beispielsweise auch Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht (mehr) in der Lage sind, selbst Auto zu fahren, ermöglichen, flexibel, sicher und selbstbestimmt von A nach B zu kommen. Schnell sind wir da auch bei den Stichpunkten Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Heutige Pkw sind hochtechnologisierte Maschinen, die jedoch den Grossteil ihres Lebenszyklus nicht genutzt werden. Am Strassenrand geparkt, blockieren sie den öffentlichen Raum — der gerade in urbanen Räumen ein knappes und wertvolles Gut ist. Mit gut abgestimmten Shared Mobility-Konzepten könnten bedeutend weniger Fahrzeuge benötigt werden, um denselben Bedarf zu decken. Die Fahrzeuge sind im besten Fall nahezu ständig in Gebrauch, womit dieser Ansatz insgesamt effizienter und nachhaltiger als der motorisierte Individualverkehr wird.
Esther: An welchen Forschungsprojekten bei Ergosign konntest du mittlerweile mitwirken?
Lukas: Mein erstes Forschungsprojekt, welches auch den groben Rahmen für mein Promotionsthema stellte, war APEROL (Autonome, personenbezogene Organisation des Strassenverkehrs und digitale Logistik). Bei APEROL haben wir uns mit der ganzheitlichen und mensch-zentrierten Gestaltung sogenannter Autonomous Mobility-on-Demand (AMoD)-Systeme, deren Entwicklung und Evaluation, beschäftigt. Die Idee hinter dem Projekt war die Entwicklung eines Zukunftskonzepts für eine Flotte von autonom fahrenden, geteilten Fahrzeugen als Teil des öffentlichen Personenverkehrs für eine Stadt wie Aachen. Wir haben uns spezifisch mit der Entwicklung von Nutzerschnittstellen für den dafür benötigten Mobilitätsdienst befasst. Das Forschungsprojekt wurde im April 2021 abgeschlossen.
Lukas: Anschliessend haben wir dann Ergosign-intern damit verbundene Themen weiterentwickelt und etwa eine Folgestudie mit „Wizard-of-Oz“-Aufbau durchgeführt.
Die Erfahrungen aus APEROL und unseren eigenen Forschungen zu diesem Themenfeld ermöglichte es uns letztlich, Konsortialpartner des STADT:up-Forschungsprojekts (Solutions and Technologies for Automated Driving in Town: an Urban Mobility Project) zu werden. Mit insgesamt 22 Partnern ist das vom BMWK geförderte Projekt zum automatisierten Fahren im urbanen Raum nochmal deutlich grösser als APEROL. Bei Ergosign beschäftigen wir uns darin vor allem mit Interaktionskonzepten zur Erklärung von Automationsverhalten in komplexen innerstädtischen Verkehrssituationen.
Esther: Wie kam es schliesslich zur Themenwahl für deine Dissertation?
Lukas: Das entwickelte sich über die Zeit. Anfangs dachte ich noch, dass meine Dissertation ganz nah an der Projektskizze von APEROL sein würde. Als jedoch klar wurde, dass das ursprünglich vorgesehene Erproben der entwickelten Konzepte mit automatisierten Realfahrzeugen nicht wie geplant stattfinden kann, beschäftigten wir uns verstärkt mit Prototyping-Methoden. Im Sinne unseres mensch-zentrierten Ansatzes wollten wir die Nutzerschnittstellen, die wir entwickelten, natürlich trotzdem frühzeitig – etwa mit Usability Tests – evaluieren, um sicherzustellen, dass unsere Konzepte den erfassten Anforderungen der Nutzenden und Stakeholder tatsächlich gerecht werden. Eine zentrale Herausforderung bestand darin, den dynamischen Kontext des fahrerlosen Fahrens beim Testen angemessen zu berücksichtigen. Wir nahmen an, dass sowohl der physische als auch der soziale Kontext einer (geteilten) fahrerlosen Fahrt grossen Einfluss auf die die User Experience und damit auf Bewertung unserer Designs haben wird. Schliesslich macht es einen Unterschied, ob man als Fahrgast in ein Taxi mit menschlicher Fahrerin bzw. Fahrer steigt, oder in ein autonomes Shuttle. Deswegen haben wir uns sehr intensiv mit kontextbasiertem Prototyping befasst und kosteneffizient eigene Set-ups aufgebaut, die aussagekräftige Studien ermöglichten. Hierzu gehörte beispielsweise der videobasierte Fahrtsimulator (mehr Informationen dazu gibt es auch in diesem Insights-Artikel oder diesem Paper) oder unser Wizard-of-Oz-Fahrzeug. So kam es schlussendlich auch zur Themenauswahl für meine Dissertation: „Context-Based Prototyping of Human-Machine Interfaces for Autonomous Vehicles“.
Esther: Wie sah dein Arbeitsalltag während der Promotion aus und wie hat Ergosign dich unterstützt?
Lukas: Während meiner Promotionszeit hatte ich einen spannenden Mix aus Kunden- und Forschungsprojekten. Das Schreiben von Publikationen und der Dissertation beanspruchte natürlich auch einiges an Freizeit und privatem Invest, sodass nicht gerade wenige Abende, freie Tage und Wochenenden für die Promotion draufgingen.
Was die Unterstützung anging: Ich hatte mehrere tolle Mentoren bei Ergosign, die mir einen hohen Grad an Verantwortung, Freiheit und Vertrauen zukommen liessen, wie z. B. meine Teamleiter Stefan Schulz und Stefan Kiefer. Vor allem auch Sebastian C. Scholz und Professor Dr. Dieter Wallach haben mich in der aktiven Promotionsphase sehr unterstützt. Dieter hatte bei APEROL die administrative Leitung, während ich die fachliche Projektleitung übernommen habe. Auch bei der Betreuungssuche konnte Dieter mich unterstützen und stellte den Kontakt zu meinem Doktorvater Professor Dr. Antonio Krüger vom DFKI her. Gegen Ende der Promotionszeit erhielt ich von Ergosign einen Monat Sonderurlaub, um mich voll und ganz auf das Verfassen meiner Dissertation zu konzentrieren. Daneben konnte ich unsere Forschungsergebnisse auf spannenden Fachtagungen und Konferenzen vorstellen, wie z. B. im Sommer 2023 auf der ACM Designing Interactive Systems (DIS) Conference in Pittsburgh.
Esther: Eine Promotion in einem Unternehmen wie Ergosign ist doch eher ungewöhnlich. Wieso, denkst du, ist das ein guter Fit?
Lukas: Eine Promotion schafft eine stark intrinsisch motivierte Mitarbeit (etwa in Forschungsprojekten) und viele Kontakte zu Unternehmen verschiedener Grössen sowie renommierten Forschungseinrichtungen und Universitäten. Durch die eigene Forschungsarbeit können Methoden erkundet und Set-ups aufgebaut und erprobt werden, die wiederum später im Industrieumfeld eingesetzt werden können. Schliesslich bietet die Unterstützung von Promotionsvorhaben die Möglichkeit, forschungsaffine Mitarbeitende zu fördern und zu motivieren.
Diese Möglichkeit zum Mix aus Industrie und (akademischer) Forschung führen wir bei Ergosign fort: Neben STADT:up sind wir im Projekt Readi als Konsortialführer involviert. Readi ist ein strategisches Forschungsprojekt, in dessen Fokus die Erforschung von Methoden zur Stärkung der Resilienz von Unternehmen steht — daraus resultierende Erkenntnisse fliessen in unsere Dienstleistung Organizational Design ein und bereichern das Methodenarsenal im Einsatz für Kundenprojekte.
Esther: Was würdest du Studierenden raten, die eine Karriere im UX- und Mobility-Bereich erwägen?
Lukas: Puh, eine pauschale Antwort ist hier schwierig. Generell sind — bei beiden Themen, bei UX im Generellen, wie auch bei einem Promotionsvorhaben — die eigene Motivation und eine gewisse Leidenschaft wichtig, wenn es um eine längerfristige Auseinandersetzung mit komplexen Themen geht. Kurzum: ein intrinsisches Interesse, am Ball zu bleiben, Trends zu verfolgen und sich selbst auch auf dem Laufenden zu halten, ist mehr als nur hilfreich. Ein solides Methodenwissen und -verständnis zu haben ist ebenso wichtig wie eine informierte, aber pragmatische Haltung zu dessen zielgerichteter Anwendung. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, Kunden, Nutzenden und anderen Stakeholdern massgeblich für erfolgreiche Projekte. Aus methodischer Sicht kann ich das Buch „Collaborative UX Design" von Toni und Dieter allen wärmstens empfehlen, die im UX-Bereich einsteigen möchten — oder dort bereits tätig sind.