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Schmerztherapie mit der Apple Watch
Sascha Schäfer Senior UX Designer
02.05.2017 • 6 minutes reading time
Der Schrei nach einer sinnvollen App für die Apple Watch hallt seit ihrem Release durch die Community. Mittlerweile ist es allerdings recht ruhig um sie geworden. Einer der Gründe dafür ist möglicherweise, dass sie ihr volles Potential nicht als typisches Lifestyle Produkt ausspielt, sondern ihre Anwendung in anderen Bereichen findet. Das beste Beispiel hierfür ist wohl der Medizinsektor.
In keinem anderen Bereich wird mehr am sinnvollen Einsatz von Smartwatches geforscht. Viele amerikanische Krankenhäuser setzen in Pilotprojekten bereits die Apple Watch ein, um stetig die Vitaldaten ihrer Patienten aufzuzeichnen. Ein anderer Artikel berichtet von Ken Robson, der mit Hilfe der Apple Watch Herzrhythmusstörungen bei sich festgestellt hat. Er ging damit ins Krankenhaus, welches seine Selbstdiagnose bestätigte. Zusätzlich konnte auf das einwöchige Tragen eines Herzmonitors verzichtet werden, da die Watch die benötigten Daten bereitstellte. Durch diese Umstände war es möglich, Herrn Robson fast unmittelbar zu operieren. Auch für uns bei Ergosign ist es (als UX Designer) eine Herzensangelegenheit, die Apple Watch nicht nur als nette Spielerei zu sehen, sondern durch die neuen Möglichkeiten, die sie bietet, das Leben der Menschen entscheidend zu verbessern.
Das erste Projekt, das wir für die Apple Watch umgesetzt haben, ist eine Erweiterung für unsere Medical-Studie Quiri, eine Schmerzerfassungssoftware für Kinder und Jugendliche. Das Ziel dieser Projektphase war es, auch Erwachsene als Zielgruppe zu erschliessen.
Warum gerade die Apple Watch?
1. Eine Hardwarebasis
Ähnlich wie beim iPhone ist die Geräteanzahl, für die entwickelt werden muss, überschaubar. Die Watch ist in lediglich zwei Varianten (38mm und 42mm) verfügbar, wobei diese sich nur in der Displaygrösse unterscheiden. Die Leistung beider Varianten ist gleich.
2. Die Hardwaresensoren
Sie stellt alle projektrelevanten Hardwaresensoren zur Verfügung.
3. Die Verbreitung
Apple dominiert den Markt mit schätzungsweise über 50% Marktanteil. 3 Das bedeutet, besitzt ein Schmerzpatient eine Smartwatch, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Apple Watch.
4. Das HealthKit
Mit dem HealthKit ist es möglich, die gesammelten Daten (Bewegung, Herzfrequenz usw.) innerhalb eines Apple-Geräteverbundes effizient auszutauschen.
Erwachsene sind keine Kinder
Auch wenn der Eindruck manchmal (zum Glück) ein anderer ist, Erwachsene sind keine Kinder und ihre Anforderungen an ein Produkt unterscheiden sich grundlegend von denen eines Kindes. Quiri wurde dazu konzipiert, eine Schmerzerfassung bei Kindern und Jugendlichen durchzuführen und diese Messungen in zeitlicher Relation zu protokollieren und für den Medical Professional aufbereitet darzustellen. Auch bei Erwachsenen ist dies das Ziel, allerdings muss die Interaktion mit der Applikation auf das Leben eines Erwachsenen zugeschnitten sein.
Kleines Display, grosser Nutzen
Auf den ersten Blick wirkt das kleine Display einschränkend, doch wie Lukas Mathis in „Mobile First“ bereits 2011 proklamierte, führen kleinere Displaygrössen, wenn durchdacht, zu besseren Designs:
„Losing that much screen space forces teams to focus. You have to make sure that what stays on the screen is the most important set of features for your customers and your business. There simply isn’t room for any interface debris or content of questionable value. You need to know what matters most.4” Lukas Mathis
Deshalb darf die Apple Watch nicht als Miniatur iPhone verstanden werden. Die Art und der Ort der Interaktion sowie die Interaktionsdauer selbst unterscheiden sich stark vom iPhone. Man darf nicht den Fehler machen und versuchen, eine iPhone App vollständig auf die Apple Watch abzubilden. Vielmehr muss man versuchen, sinnvolle Funktionen zu extrahieren und diese für die Nutzung mit der Watch aufzubereiten.
Neben dem vermeintlich zu kleinen Display bietet die Apple Watch aber viel mehr. Nie war ein smartes Device näher am Körper, nie war es besser möglich, einen konstanten Strom relevanter Daten zu generieren. Und das gänzlich ohne das Zutun des Nutzers. Ärzte haben nun Zugriff auf eine Datenvielfalt, die so bisher nicht möglich oder nur mit hohem Aufwand zu erreichen war. Durch diese Daten können neue Relationen gebildet werden, die vorher ausschliesslich auf den Aussagen des Patienten beruhten.
Der Nutzer im Zentrum, der Schmerz nicht
Auch bei der Konzeption von Quiri for Watch war der wichtigste Aspekt, den Nutzer in das Zentrum der Analyse zu rücken und seine Bedürfnisse zu erkennen. Hier hatten wir das grosse Glück, die Schmerzambulanz des Universitätsklinikums des Saarlandes als Partner gewinnen zu können. Durch Dr. Bialas, Leiter der Schmerzambulanz, war es möglich, wichtige Einblicke in das Leben und den Alltag der Schmerzpatienten zu erhalten. Ebenso konnte er uns erläutern, welche Daten in welcher Regelmässigkeit und zu welchem Zeitpunkt wichtig sind, um seine Schmerztherapie zu unterstützen und zu verbessern.
Dies verdeutlicht wieder einmal, wie wichtig die Nähe zum Nutzer bei der Konzeption und Entwicklung von Software ist.
In der Analyse zeigte sich schnell, dass in der Erwachsenenschmerztherapie, im Gegensatz zur Kinderschmerztherapie, keine regelmässigen Messungen zu festen Zeiten durchgeführt werden. Viel hilfreicher ist es, bei akuten Schmerzen einen Marker zu setzen, verschiedene Parameter abzufragen und alle relevanten Vitaldaten automatisch aufzuzeichnen. Ebenso wichtig ist es, positive Ereignisse abzufragen, um Fortschritte durch neue Medikamente oder Massnahmen zu erkennen.
Es muss schnell gehen
Apple gibt für die Watch eine durchschnittliche Interaktionsdauer von 5 Sekunden an. Dieser Umstand stellt eine Herausforderung für das Design dar, denn die Parameter Schmerzstärke, Schmerzqualität und Auslöser (Wut, Stress, Verletzung, etc.) müssen unbedingt abgefragt werden, um eine Verbesserung der Therapie zu ermöglichen. Hierfür ist eine Eingabe vom Nutzer erforderlich. Dennoch waren wir darauf bedacht, dem Patienten die Schmerzerfassung auch beiläufig oder unter Schmerzen zu ermöglichen. Durch die automatische Aufzeichnung vieler Umgebungsvariablen und Vitaldaten sowie eine klare Führung durch die einzelnen Funktionen haben wir versucht, dem Rechnung zu tragen.
Im Gegensatz zur Hauptapplikation, die eine Übersicht der durchgeführten Messungen sowie umfangreiche Schmerzfragebögen abbildet, wurde bei der Watch App der Funktionsumfang auf das Nötigste reduziert. Die Watch App erlaubt dem Schmerzpatienten, bei akuten Schmerzen oder bei positiven Ereignissen einen Marker zu setzen, die Einnahme von Medikamenten als auch das Auftreten von Nebenwirkungen zu protokollieren sowie die vom Arzt verordnete Art und die Menge der Medikamente einzusehen. Ausserdem wird der Patient von der App an die Einnahme seiner Medikamente erinnert.
Fazit
Dieses erste Projekt hat uns gezeigt, dass viel Potential in der Apple Watch bzw. in Smartwatches im Allgemeinen steckt. Quiri wurde bereits hervorragend durch die Watch ergänzt und auch in anderen Projekten wird immer über eine sinnvolle Nutzung von smarten Uhren nachgedacht. Auch Dr. Bialas äussert sich positiv:
„Die Telemedizin ist aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Wenn die Kinderkrankheiten überwunden sind und Daten sicher übermittelt werden können, wird diese Form des Datenaustausches eine gute Unterstützung bei chronisch kranken Patienten. Gerade im Hinblick auf die Altersstruktur (die Menschen in Deutschland werden älter) können so Daten schnell an die behandelnden Ärzte übermittelt werden, die dann bei Bedarf eine Therapie beginnen können. Mit Quiri für die Apple Watch ist den Entwicklern ein sehr gutes Tool gelungen. Weiter so.” Dr. Bialas
Wir freuen uns auf die nächsten, flacheren, schnelleren und mit längerer Akkulaufzeit ausgestatten Versionen und weitere Projekte mit und für Smartwatches.
4Wroblewkis, Luke (2011): Mobile First, A Book Apart, Seite: 19