Die Begriffe Klima und Software sind ständig in aller Munde. Auf den ersten Blick besteht zwischen ihnen kein offensichtlicher Zusammenhang. Die eher versteckte Verbindung der beiden Themen begleitet uns jedoch im Alltag fortlaufend und ist es deshalb wert, genauer beleuchtet zu werden.
Green UX
2014 landete der IT Sektor auf Platz drei des weltweiten Energieverbrauch-Rankings. Zusätzlich hat sich nach einer Worst-Case-Schätzung binnen der letzten 5 Jahre der Anteil, den die Infrastruktur, oft als „das Internet“ bezeichnet (z.B. Netzwerke, Data Center und Cloud-Dienste), am Energieverbrauch hat, von einem Drittel auf etwa 50 % vergrößert (vgl. Abbildung: Verteilung des Energieverbrauchs im IT-Sektor 2012 vs. 2017). Auch Greenpeace bewertet im jährlichen „ClickGreen Report“ den ökologischen Fußabdruck des Internets und dessen größter Akteure (Google, Facebook, Amazon etc.). Genauso wie die Häufigkeit unserer Flugreisen oder die Nutzung unseres Autos, hat auch das Internet Einfluss auf unser Klima.
Die persönliche CO₂-Bilanz
Es gibt Menschen, die gerne Auto fahren, Menschen, die nur bei Bedarf ein Auto nutzen und Menschen, die das Auto generell meiden. Ich gehöre zu ersteren, fahre auch gerne mal schneller, obwohl ich es nicht unbedingt eilig habe. Und manchmal nutze ich mein Auto einfach aus Bequemlichkeit. Ich bin fast dreißig und arbeite als Software Engineer bei Ergosign, einer Digitalagentur für User Experience Design. Ich würde mich als „Tech-Head“ bezeichnen. So bin ich sicher ein wenig konsumfreudiger als der Durchschnittsdeutsche und gebe auch gerne mal Geld für Dinge aus, die ich vielleicht nicht unbedingt brauche – technischen Krimskrams eben. Mithilfe des CO₂-Rechners des Umweltbundesamtes (Quelle: CO₂-Rechner) habe ich auf Basis meines Lebensstils meine CO₂-Bilanz berechnet. Mit ca. 16t CO₂ pro Jahr liege ich im Gegensatz zum bundesdeutschen Durchschnitt mit ca. 11t pro Jahr erheblich über dem Schnitt. Aber warum erzähle ich das alles?
Jeder von uns stößt natürlich nicht bei allem permanent das Treibhausgas CO₂ aus. Allerdings ist alles, was wir Menschen tun, mit einer bezifferbaren Menge an Emission oder Abfall verbunden. Dieser Abfall kann nahezu alles sein. Offensichtliche Beispiele sind Plastikmüll, Elektromüll oder eben konkret Treibhausgase wie CO₂ durch Autoemission oder Flugreisen.
Natürlich ist CO₂ nicht das einzige Treibhausgas und Elektro- sowie Plastikmüll sind nicht die einzigen Arten, unsere Umwelt zu belasten. Um Vergleichbarkeit zu generieren, kann für jede Form von Emission oder Abfall ein sogenanntes CO₂-Äquivalent berechnet werden. Eben die Menge an CO₂, mit der die Umwelt gleichermaßen stark belastet würde wie mit dem jeweiligen spezifischen Fall an Emission oder Abfall.
Übertragen auf meine Tätigkeiten im beruflichen Kontext der Software- und Produktentwicklung ist nicht nur relevant, ob und wie nachhaltig ich arbeite bzw. wie viel CO₂ ich während meiner Arbeit einspare, sondern auch die Umweltbilanz der Produkte meiner Arbeit. So ist vor allem der Prozess hin zu einem nachhaltigen Soft- bzw. Hardwareprodukt ausschlaggebend. Denn die Menge an CO₂, die auf dem Weg zu einem fertigen Produkt entsteht, geht rechnerisch in die CO₂-Bilanz des fertigen Produktes ein. Es lassen sich nicht nur aus unternehmerischer Sicht Kosten und Ressourcen sparen, sondern auch durch eine optimierte Usability ein bisschen die Welt verbessern.
Kann „Green Development“ die Welt verbessern?
„Die Welt verbessern“ klingt natürlich hochgradig utopisch, enthält aber eine entscheidende Idee, deren Maßgeblichkeit nicht zu unterschätzen ist. Unter Betrachtung der Tragweite einer Design- oder Entwicklungsentscheidung lässt sich nämlich tatsächlich die Welt verbessern.
Ein vereinfachtes Beispiel: Nehmen wir an, Sie sind Entwickler einer App für Smartphones. Sie haben es geschafft, Ihre App bekannt zu machen und haben einen Kreis von mehreren Millionen Nutzern gewonnen – alle nutzen also exakt dasselbe Produkt. Die ökologische Nachhaltigkeit Ihrer App multipliziert sich mit der Zahl der Nutzer. Softwareprodukte wie Apps können besonders schnell verbreitet werden. Ab in den AppStore, downloaden und schon läuft die „nachhaltig" oder eben nicht nachhaltig gestaltete App auf einem weiteren Endgerät.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Ihre App das Internet nutzen. Jegliche Übertragungen von Daten über das Internet werden jedoch gleich von mehreren Diensten innerhalb der sogenannten „Digital Supply Chain“ bearbeitet, ohne dass der Nutzer dies explizit merkt. Jeder dieser Dienste benötigt im einfachsten Sinne Strom, wobei jede Nutzung auch in einem quantifizierbaren CO₂-Äquivalent seines Energieverbrauchs resultiert. So verschlechtern Sie also mit jedem Zugriff auf das Internet indirekt die CO₂-Bilanz Ihrer App. Deshalb kann schon durch „effizientere“ Nutzung des Internets die CO₂-Bilanz jeder einzelnen Instanz der App verbessert werden. Summiert auf die gesamte Nutzung der App, kann die Menge an eingesparter Energie bzw. CO₂-Äquivalent immens sein.
Damit hat alles, was mithilfe des Internets geschieht, einen Einfluss auf unsere Umwelt. Streamen eines Songs auf Spotify, eine Textnachricht bei WhatsApp, Versenden einer E-Mail, Aufrufen einer Website, eine Suchanfrage mit Google oder ein simpler Tweet. All das verursacht einen Umwelteinfluss, der in CO₂-Äquivalent beziffert werden kann. Im Falle von Twitter sind das ca. 0,02 g CO₂ pro Tweet (Stand 19. April 2010, Jaymi Heimbuch – Treehugger Blog). Damit hat allein Donald Trump seit Existenz seines Twitter-Accounts fast ein Kilogramm CO₂ allein mit seinen Kurznachrichten erzeugt. Nun klingen 0,02 g nach nicht viel. Mit ca. 6000 Tweets pro Sekunde wird aufgrund der gewaltigen Nutzerzahl von Twitter sekündlich bereits ein CO₂-Äquivalent von 120 g generiert. Das sind pro Tag ca. 10t CO₂ nur durch Tweets – dies entspricht fast dem CO₂-Äquivalent eines Durchschnittsdeutschen pro Jahr.
Online und offline
Die Nutzung des Internets ist nicht der einzige Hebel, um die gesamte CO₂-Bilanz vieler Geräte oder Software zu verbessern. Es gibt viele Möglichkeiten, die Effizienz eines Produktes hinsichtlich der Umweltverträglichkeit zu verbessern, ohne das Produkt in seiner technischen Form verändern zu müssen. Häufig lassen Produkte allerdings keine oder nur einen begrenzten Einfluss auf den Energieverbrauch zu. Meine Waschmaschine hat zum Beispiel ein Energiesparprogramm, das ich nahezu nie nutze. Nicht, weil ich mich aktiv dagegen entscheide, Energie zu sparen, sondern weil ich es relativ kompliziert extra einschalten muss. Eine unnötige Hürde, für die es eine einfache Lösung gäbe. Es könnten grundsätzlich alle Programme Energie sparen und damit langsamer waschen oder weniger Wasser und Strom verbrauchen. Bewusst einschalten müsste ich einen „Mehr Energie verbrauchen“-Modus. Meine Wäsche wäre dann aber auch schneller fertig. Ich müsste mich also aktiv dafür entscheiden, mehr Energie zu einem bestimmten Zweck zu verbrauchen.
Durch ein nachhaltiges Gestaltungskonzept wird dem Nutzer die Hürde genommen, Energie zu sparen und der Weg dorthin verkürzt.
Außerdem kann jeder darin unterstützt werden, seinen Energieverbrauch zu senken und damit auch seine CO₂-Bilanz zu verbessern, ohne in der eigenen Bequemlichkeit eingeschränkt zu sein.
Diese Form, den Nutzer auf sanfte Weise in seiner Verantwortung für seine CO₂-Bilanz zu unterstützen, wird „Green Defaults“ genannt. Die Verantwortung für eine „angemessene“ CO₂-Bilanz eines Produktes liegt nicht nur im Verhalten des Nutzers, sondern vor allem auch bei den Entwicklern und UX Designern des jeweiligen Produktes.
Daher werden Aspekte wie „Green UX“, also eine nachhaltige User Experience, aber auch „Green Development“, also nachhaltige und effiziente Entwicklung sowie die eingesetzten Technologien immer wichtiger.
Heute werden rasant neue Technologien entwickelt, Software ist selbst aus banalsten Gegenständen nicht mehr wegzudenken. Es steht bei vielen Produkten nicht mehr nur die reine Machbarkeit im Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie etwas geschieht. Effizienz und Nachhaltigkeit einer Software spielen dabei eine entscheidende Rolle. Es ist wichtiger denn je, bereits zu Beginn eines Entwicklungsprozesses, sowohl aus technischer als auch nutzerzentrierter Sicht, Aspekte wie Nachhaltigkeit und Effizienz zu beachten. Frei nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ - und das nicht zu knapp.
Zum Autor
Florian Faßnacht ist seit 2015 UX Software Engineer bei Ergosign. Er hat Elektro- und Informationstechnik studiert und interessiert sich neben seiner Arbeit im Industrie- und Automotiv-Kontext bei Ergosign vor allem für innovative und nachhaltige technische Lösungen für Alltagsprobleme jeglicher Art.